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Ein Mutmacher für (schreibende) Mütter

 

 

Aktuell habe ich ein Faible für Sammelbände. Sie sind in Happen genießbar und bringen meist viel zum Klingen in mir. Mein momentaner Favorit ist „Mutter werden. Mutter sein. Autorinnen sprechen über die ärgste Sache der Welt" Herausgegeben von Barbara Rieger und erschienen im leykam Verlag. Die Zielgruppe ist sicher nicht die größte, aber wer eine schreibende Mutter ist wird sich in vielen der enthaltenen Beiträge wiedererkennen. 

 

 

„Zeit hat eine andere Dimension bekommen, ist neu formatiert, in winzige Einheiten fragmentiert. Ich frage mich, was ich all die Jahre davor eigentlich gemacht habe, (…) Denke an diese unfassbare Fülle von Zeit, die mir damals im Vergleich zu jetzt zur Verfügung stand, und dass meine Beschwerde trotzdem absolut richtig war: Ich hatte keine Zeit.“ 

 

 


Diese Sätze aus dem Text „Blut, Milch, Digitale Tinte“ von Sandra Gugic beschreibt so gut das Gefühl, ständig unter Zeitdruck, ständig gehetzt und ständig gefordert zu sein, das mich häufig begleitet, seit ich Kinder habe. Und gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass das eben nicht nur ein Phänomen der Elternschaft ist – sondern fast allen in unserer Gesellschaft so geht. Meistens potenziert sich dieser Zustand nur, wenn man Kinder bekommt. Was erklärt, warum sich so viele Mütter und Väter über anhaltenden Stress beklagen, wenn sie (kleine) Kinder haben. 

 

Viele der Autorinnen befassen sich mit diesem Thema; damit, wie es gelingen kann, trotz dieser Fremdbestimmung kreativ zu sein, Raum zum Schreiben zu finden, sich selbst (als Künstlerin) nicht zu verlieren. Teilweise wird es auch sehr literarisch, beängstigend und bedrückend, wie in Katja Bohnets Kurzgeschichte „Meine Mutter. Die Serienmörderin“

 

Die Texte handeln aber genauso von autobiografischen Erfahrungen, vom Finden der Mutterrolle und vom Straucheln auf diesem Weg. Sie richten sich an jede Mutter, aber auch an die Gesellschaft, wie Simone Hirth mit „Wir wollen was. Ein Manifest“. Sie hinterfragen Rollenbilder und den Muttermythos, tragen aber auch dazu bei, den Alltag als (schreibende) Mutter sichtbar zu machen.

 

Und Tabus zu brechen. So wie mein Lieblingstext, der gleich zu Anfang steht und von der Herausgeberin selbst geschrieben ist: „Das natürlichste der Welt“. Ein literarischer Geburtsbericht, aber vor allem ein ehrlicher: Rieger spricht all das an, was uns Müttern meist niemand vor der Geburt sagt, obwohl doch so viele Ratschläge auf uns einprasseln. Sie vermittelt den Leserinnen: Du bist okay, dein Weg ist okay!

 

„(…) wir haben gelernt, nachsichtig mit uns zu sein,

wir haben gelernt, wir lernen: MUTTER zu sein (…)“. 

 

 

Selbstverständlich haben mir einige Texte nicht zugesagt, aber in Summe wird mir das Buch noch lange in Erinnerung bleiben. Weil es an meinem Alltag ansetzt – dann aber deutlich tiefer geht. Weil es Mut macht.

 

„Eine Mutter kann und darf und soll alles wollen.

Auch wenn diese Aufgabe, dieses ,Muttersein‘ eine große,

eine umfassende, eine vereinnahmende Aufgabe ist.“


Barbara Rieger (Hg.)
Mutter werden. Mutter sein.
Autorinnen über die ärgste Sache der Welt.

leykam 2021

 

ISBN 978-3-7011-8197-1

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