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"In 20 Sprachen um die Welt“ – ein Paradies für Sprachverrückte

 

Drei Viertel aller Menschen sprechen eine der 20 Sprachen, die Gaston Dorren den Leser*innen in seinem neuen Sachbuch näherbringt. Ich bin schon ein klein wenig „sprachverrückt“, man könnte es gar „nerdig“ nennen, und war bei diesem Buch wirklich in meinem Element. 

Humorvoll, unglaublich detailreich und sprachlich versiert beginnt er bei der kleinsten Sprache (Vietnamesisch, 85 Mio. Sprecher*innen) und endet bei der Lingua franca Englisch (1,5 Milliarden Sprecher*innen). Dabei erklärt er in jedem Kapitel nicht nur die Besonderheit(en) der jeweiligen Sprache, sondern nimmt sich ein Themengebiet der Linguistik vor. Beispielsweise die Tonsprachen im Kapitel zu Panjabi und die Schriftsysteme in dem zu Bengalisch. Ein wilder Ritt, der nie langweilig wird. 

Ich war erstaunt, wie wenig ich über Sprachen außerhalb von Englisch, Deutsch und der romanischen Sprachen wusste und wie viel Halbwissen beispielsweise zu Chinesisch in meinen Hirnwindungen vorhanden war. 

Das Buch ist so umfangreich und detailliert, dass es schwierig ist, einen Aspekt herauszugreifen. Deshalb habe ich einige meiner Learnings lose zusammengefasst:

  • Deutsch ist wirklich schwierig, aber es geht noch deutlich komplexer.
    „Das Deutsche hat so ungefähr die merkwürdigsten Regeln zur Wortreihenfolge, die man sich überhaupt vorstellen kann.“ S. 186
  • In einigen Sprachen kann man nicht flüstern, zumindest nicht, ohne dass es ziemlich unverständlich wird. 
  • Unser „Du“ vs. „Sie“ ist Sie nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges an Sprachetikette, die auf der Welt existiert. Massive Unterschiede im Vokabular, je nachdem, wie der Sprecher zu seinem Gegenüber sozial steht, sind in vielen Sprachen eher die Regel als die Ausnahme. Japanisch hat sogar eine eigene „Frauensprache“. 
  • Afrikaner*innen sind polyglott auf eine Art und Weise, die wir uns in der westlichen Welt kaum vorstellen können. Mehrsprachigkeit ist dort aufgrund der Umstände die Regel und das Erlernen neuer Sprachen gehört einfach dazu und ergibt sich oft von selbst.
    „Afrikaner werden also nicht als Sprachgenies geboren, sondern Afrika macht sie dazu.“ S. 168 
  • Sprachen wachsen auch mal über sich hinaus.
    „Portugal ist die Heimat von nur 5 Prozent der Menschen, die Portugiesisch sprechen, es ist dem Reisen, den es geschaffen hat, einfach nicht ebenbürtig.“ S. 256
  • Es gibt Gegenenden auf dieser Erde, in denen verschiedene Schriftsysteme parallel existieren. In Westbengalen sind es ganze 9 (!) verschiedene, Tendenz steigend. 
  • Schriften werden eingeteilt in Alphabete (ein Buchstabe pro Klang, z.b. unser lateinisches Alphabet), Abschads (Konsonantenschriften, z.B. arabisch), Abiguidas (Konsonanten + Vokalsymbole, z.B. Bengalisch) und Silbenschriften (z.B. Japanisch)
  • Es gibt „Vokalkiller“. 
  • Die Schrift auf Buchrücken wird in manchen Sprachen im Uhrzeigersinn (Niederländisch) und in anderen gegen den Uhrzeigersinn gedreht (Französisch). Im Deutschen sieht man beides. 
  • Sprachwandel ergibt sich nicht immer von selbst; manchmal wird er auch forciert. Es werden nach wie vor werden Vokabeln aktiv erfunden, ganze Schriftsysteme neu erarbeitet, und Sprache leider auch politisch instrumentalisiert. Wissen ist Macht und an Sprache gekoppelt.
    „Die westlichen Linguisten haben also vermutlich Recht: Sie haben keine Möglichkeit, den Entwicklungskurst ihrer Sprache zu steuern. Diese Wahrheit ist jedoch orts-und zeitgebunden, sie ist nicht universell gültig.“ S. 92

Ich werde genug linguistisches Nerdwissen für mein Leben aus diesem Buch ziehen können. Es hat Spaß gemacht, es zu lesen, und ich habe eine Menge gelernt. Ja, man bekommt direkt Lust, eine neue Sprache zu lernen. 

 

Ich bin mir nicht sicher, ob man allen Erklärungen folgen kann, wenn man gar keine Affinität zu Sprache und Linguistik hat. Zumindest ein entsprechendes Interesse sollte man mitbringen, dann wird man an diesem Buch wirklich Freude haben. 

 

Respekt auch an die Übersetzerin Juliane Cromme. Die vielen Beispiele aus dem Englischen ins Deutsche zu übertragen, war sicherlich eine große Herausforderung, die sie sehr gut gelöst hat.

 

Die anderen Bücher von Gaston Dorren, zum Beispiel „Sprachen. Eine verbale Reise durch Europa“, stehen schon auf meiner Wunschliste!

 


 

 

 

 

 

Gaston Dorren: In 20 Sprachen um die Welt. Die größten Sprachen und was sie so besonders macht

Büchergilde Gutenberg, 2022

400 Seiten, Hardcover

ISBN: 9783763273553

 

 

 

Danke an die Büchergilde für das wunderschöne Rezensionsexemplar. 

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